DHEA: Anmerkungen aus der Labormedizin
von Priv.-Doz. Dr. med. habil. W. P. Bieger, München


DHEA wird größtenteils bereits in der NNR zu DHEAS (DHEA-Sulfat) sulfatiert und als Prohormon ins Plasma sezerniert, das im Gegensatz zu DHEA keine eigene androgene Aktivität aufweist. Nur das nicht-sulfatierte, freie DHEA besitzt biologische Aktivität.
Da auch die Plasmahalbwertzeit von DHEAS deutlich diejenige von DHEA übertrifft, beträgt die Serumkonzentration von DHEAS ein Vielfaches der von DHEA: ca. das 500fache,
d.h. 0,2 % des Gesamt-DHEA/S liegt als bioaktives DHEA vor.


Die Plasmarelation von DHEA und DHEAS bleibt lebenslang konstant. Neue Befunde zeigen allerdings, dass im ZNS andere Verhältnisse gegeben sind (Guazzo et al., 1996). Hier liegt der Anteil von DHEA gegenüber DHEAS deutlich höher. Im CSF (Liquor cerebrospinalis) erreicht DHEA ca. 5,4 % der Serumkonzentration, DHEAS nur 0,15 %. Das ZNS enthält damit fünf- bis sechsmal mehr DHEA als jedes andere Organ.

Im Gegensatz zur Peripherie scheint im ZNS DHEAS selbst biologisch aktiv zu sein, möglicherweise wirksamer als DHEA. Von Baulieu, dem 'Entdecker' von DHEA, wird DHEAS daher als Neurosteroid bezeichnet. DHEAS wird auch lokal im ZNS und in lokalen peripheren Nerven synthetisiert, die Syntheserate kann das Niveau der Nebenniere erreichen.


Die DHEAS-Serumspiegel variieren individuell sehr stark, wobei genetische Disposition, Rasse, Gewicht und Stressfaktoren maßgeblich sind. Die Serumkonzentration von DHEAS liegt bei Männern ca. 4mal so hoch wie bei Frauen. Sie fällt bei beiden Geschlechtern ab dem 30. Lebensjahr kontinuierlich ab. Die sog. 'Adrenopause' mit ca. 10% Restproduktion wird zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr erreicht:

DHEAS liegt im Serum frei oder gebunden vor (Albumin SHBG), DHEA überwiegend gebunden. Die Konzentration von DHEA im Speichel korreliert hochsignifikant mit der Gesamthormonmenge (frei + gebunden) im Serum, noch enger mit dem freien DHEA im Serum. Die Speichelkonzentration ist unabhängig von lokalen Faktoren wie Speichelmenge, Flussrate, pH oder Eiweißanteil. Da im Speichel ausschließlich die biologisch aktiven, freien Steroidhormone (DHEA) vorliegen, kommt die Speichelmessung zunehmend in der Diagnostik zum Zuge.

DHEAS hat die Funktion eines peripheren Prohormon-Pools der männlichen und weiblichen Sexualhormone, da aus DHEAS nach Desulfatierung Androstendion, Testosteron und Dihydrotestosteron bzw. Östradiol und Östron gebildet werden können.

DHEA = ’Mother of All Hormones’
Die für die Desulfatierung von DHEAS zuständige DHEAS-Sulfatase kommt in zahlreichen Geweben in unterschiedlicher Aktivität vor. Der altersbedingte Abfall der peripheren DHEA/S-Konzentration ist offensichtlich maßgeblich auf den Abfall des Schlüsselenzyms der DHEA-Synthese, der 17,20-Desmolase, zurückzuführen (Longcope, 1995). Die adrenale DHEAS-Produktion wird in erster Linie durch Kortikotropin/ACTH reguliert.

Die Serumkonzentrationen von DHEAS und Kortisol weisen allerdings signifikante Unterschiede auf. DHEAS unterliegt keiner Tagesrhythmik. Der altersabhängige Rückgang der DHEA/DHEAS-Produktion findet keine Parallele in der Glukokortikoid-Produktion. Behandlung mit Glukokortikoiden supprimiert DHEAS .

Stressbedingter Anstieg von ACTH und Kortisol geht mit Abfall der DHEAS-Konzentration einher. Damit weisen sich die beiden Steroidhormone als funktionelle Antagonisten aus. Tatsächlich werden bei hohem Plasmakortisol regelmäßig niedrige DHEA/S-Spiegel gefunden. Der Quotient aus Kortisol und DHEA+DHEAS, im Serum oder Speichel bestimmt, wird daher oft als Stressindikator herangezogen. Die Kortisolbestimmung im Speichel erlaubt auf einfache Weise auch die Ermittlung eines Tagesprofils, wodurch die Aussagekraft des Quotienten optimiert wird.

Immunsystem
Steroide, speziell Glukokortikoide (GK), sind potente Modulatoren des zellulären Immunsystems. Die antiinflammatorische Wirkung der GK's ist vor allem auf die Modulation der Zytokinproduktion von T-Lymphozyten zurückzuführen. Sowohl CD4-Helferzellen als auch CD8-Suppressorzellen stellen sich unter GK-Einfluss vermehrt auf Typ 2-Zytokine (Interleukin 4, Interleukin 10) bei gleichzeitiger Suppression der Typ 1-Zytokine Interleukin 2 und g-Interferon um. Vor allem die Suppression des proinflammatorischen g-IFN ist charakteristisch für Kortisol, das darüberhinaus auch die Aktivität von Entzündungszellen wie Granulozyten und Makrophagen hemmt. DHEA wirkt antagonistisch zu Kortisol und steigert die Aktivität der zellulären Immunabwehr über Induktion von Typ 1-Zellen (IL 2, IL 12, g-IFN).

Stoffwechselwirkung
Parallel zum altersbedingten Abfall von DHEA/S steigen die Nüchternwerte von Insulin im Plasma an. Insulin bremst die Bildung von DHEA, wahrscheinlich durch Hemmung der
17,20-Lyase und zusätzliche Steigerung der Aktivität DHEA-abbauen- der Enzyme.
DHEA seinerseits hat keinen direkten Einfluss auf Produktion und Wirkung von Insulin. Stoffe, die in der Lage sind, die altersbedingte Insulinresistenz zu verbessern, können auch die Verfügbarkeit von DHEA verbessern. Für Benfluorex wurde gezeigt, dass bei 60- bis 80-Jährigen unter Behandlung die DHEA-Werte 30- bis 50-Jähriger erreicht werden können (Nestler, 1996).

DHEA fördert außerdem die Fettverbrennung. Unter Substitution (> 40 J.) nimmt die Muskelmasse zu, der Körperfettanteil sinkt - allerdings offensichtlich nur bei Männern. Bei Frauen überwiegt in der Menopause (Östrogenmangel) die androgene Wirkungskomponente von DHEA:
  • erhöhte trunkale Fettakkumulation
  • Hyperinsulinämie
  • Abfall der SHBG-Konzentration
  • Anstieg des freien Testosterons
  • Fettakkumulation.
Ein derartiger Zyklus wird durch neue Ergebnisse zur Beziehung von androgenen/östrogenen Hormonwirkungen, Fettmasse/ Insulinsensitivität und Hyperinsulinämie/ SHGB/Testosteron nahegelegt (Ebeling and Koivisto, 1994).

DHEA erhöht die Wirksamkeit von Wachstumshormonen. Nach DHEA-Gabe wird der altersbedingte Abfall von IGF-1 gehemmt. Neben der direkten bzw. indirekten (Testosteron) androgenen Wirkung von DHEA trägt auch dieser Effekt zum Aufbau von Muskulatur und zur Steigerung der physischen Fitness bei.

Antiatherosklerotischer Effekt
Die DHEAS-Konzentration im Blut ist signifikant mit der Atheroskleroseinzidenz korreliert. Die antiatherogene Wirkung von DHEA bei Männern wird zumindest zum Teil über Beeinflussung des Lipidstoffwechsels vermittelt. DHEA senkt Cholesterin, erhöht HDL- und supprimiert LDL-Cholesterin. Bei Frauen ist das Gegenteil zu beobachten.

Anti-Aging Effekt/Lebensverlängerung
Bisher konnte nur im Tiermodell gezeigt werden, dass DHEA-Gabe die Überlebenszeit steigert. Schlüssige Daten beim Menschen liegen nicht vor. DHEA-Substitution bei älteren Frauen und Männern führte zum signifikanten Anstieg des Wachstumshormoneffektors IGF-1, während HGH selbst und IGFBP-3 unverändert blieben.

Unter DHEA-Gabe (50 mg/die oral) stabilisierte sich innerhalb von 14 Tagen die Plasma-DHEA- und DHEAS-Konzentration auf Werte junger Erwachsener. Die Androgenkonzentration bei Frauen nahm auf das 2fache zu (Androstendion, Testosteron, Dihydrotestosteron), bei Männern stieg nur Androstendion geringfügig an, die Östrogenkonzentrationen (Östron, Östradiol) und SHBG blieben bei beiden Geschlechtern unverändert (Morales et al., 1994).

Substitution
Die wichtigsten Empfehlungen für eine Substitutionstherapie:

  1. Wenn eine Substitutionstherapie geplant wird, sollen vorab morgens nüchtern DHEAS und Kortisol im Serum oder — besser — DHEA und Kortisol im Speichel bestimmt werden. In der Regel wird DHEA innerhalb von 2 - 4 Wochen auf die unteren Konzentrationswerte junger Erwachsener aufgesättigt. Die typische DHEAS-Serumkonzentration 20-Jähriger liegt bei 3000 — 5000 ng/ml.

  2. Neuerdings wird vermehrt die sublinguale Applikation nahegelegt, da fast die gesamte Hormonmenge resorbiert wird. Bei konventioneller oraler Aufnahme können bis zu 90% des absorbierten DHEA in der Leber metabolisiert werden, bevor die Zielzellen erreicht werden. Den gleichen Zweck erfüllen auch DHEA-Cremes, bei denen die Resorption transdermal erfolgt. Absorbiertes DHEA wird innerhalb 30 Minuten in DHEAS umgewandelt, die Plasmahalbwertzeit von DHEAS wird mit 12 Stunden angegeben. Die individuelle Erhaltungsdosis wird durch Kontrolle der Serum- bzw. Speichelkonzentrationen bis zum Erreichen des Steady State ermittelt, anfangs 2- bis 4-wöchentlich, später alle 3 bis 6 Monate. Bis heute ist absolut offen, ob es sinnvoll ist, im Alter bis auf die jugendlichen Maximalwerte aufzusättigen. Manche erfahrene Autoren empfehlen daher deutlich geringere Dosierungen von 5 — 15 mg/die für Frauen und 10 —  25 mg/die für Männer, jeweils für 5 Tage, um die natürliche DHEA-Produktion aufrecht zu erhalten. Bei Kranken wird die Dosierung eventuell bis zur klinischen Erhaltungsdosis gesteigert.

  3. Zusätzlich werden Antioxidantien empfohlen, u.a. um die potentiell toxischen Effekte hoher DHEA-Dosen zu neutralisieren, denn DHEA wird als Prooxidans eingestuft (Reihenfolge nach Eignung): Vitamin E > Ubichinon/Coenzym Q10 > Grüntee-Extrakt > Vitamin C (fettlösliches Ascorbinsäure-Palmitat).

  4. Weitere diskutierte Egänzungen: Melatonin — wegen seiner Schutzwirkung gegenüber Mamma- und Ovarial-CA bei Östrogensubstitution in der Menopause. Frauen in der Menopause sollten außerdem Östrogene einnehmen, um dem eher androgenen Effekt von DHEA bei der Frau entgegenzusteuern. Aktuelle Alternative zu DHEA ist Pregnenolon, neuerdings manchmal als 'Grandmother of all Hormones' bezeichnet.
Kritik:
Alle bis dato postulierten Effekte von DHEA/S stammen aus Tierexperimenten oder Studien an kleinen Fallzahlen. Die meisten Untersuchungen wurden an Ratten durchgeführt, die ihrerseits nicht in der Lage sind, DHEA in der Nebenniere zu synthetisieren und die daher wahrscheinlich besonders sensitiv gegenüber DHEA-Supplementation reagieren. Langzeitergebnisse liegen bis heute nicht vor. Mögliche positive Effekte stehen möglichen negativen Risiken wie erhöhtem Mamma- und Prostata-CA-Risiko gegenüber.

Diagnostik:
Speichel: DHEA und ggf. Kortisol in jeweils 2 ml Speichel.
Materialsammlung in Spezial-Salivetten (vom Labor anzufordern!) — ca. 8 Uhr morgens.
Vor der Speichelsammung den Mund 2-mal mit Wasser spülen, leeren und anschließend den Filterzylinder aus der Salivette in den Mund nehmen und ca. 5 Min. leicht kauen! Den Filter in das Röhrchen zurücklegen und verschließen. Für den ASI/Adrenaler Stressindex werden 4 Speichelproben benötigt: 8.00 - 12.00 - 16.00 - 20.00 Uhr für die morgendliche DHEA-Bestimmung und das Kortisol-Tagesprofil.

Weitere Steroidhormone (freie Hormone!) können ebenfalls aus Speichel bestimmt werden:
Testosteron, Progesteron, Östradiol

Serum: jeweils 0,5 ml Serum für Steroidhormonbestimmungen und ggf. HGH/Wachstumshormon. Für IGF-1 ist tiefgekühltes Serum/Plasma erforderlich.

Einnahmeempfehlungen:
5 — 50 mg DHEA für Frauen und 25 — 100 mg für Männer, jeweils oral morgens früh.
Verschiedene Empfehlungen gehen allerdings dahin, 2 mal täglich - morgens früh und abends spät die halbe Dosis zuzuführen. DHEA-Kapseln sind von 5 — 50 mg als Importarzneimittel erhältlich.

PreventNetwork-Hinweis:
Wenn Sie bei einem unserer Hotline-Partner fallbezogene Auskünfte einholen wollen, geben Sie unbedingt Alter und Geschlecht sowie allfällige Hormonsubstitutionen an.

Hinweise zum Import: verschreibungspflichtiges internationales Arzneimittel, das die Apotheke per Einzelimport beziehen kann: z.B. bei Centropa Pharma, Tel. (+49) (0)1805 33 11 60; Fax (+49) (0)1805 33 11 69; e-mail: pharma@centropa.com

für:
jeden, der niedriges DHEA aufweist, von 35 Jahren an aufwärts;
Patienten mit malignen Tumoren (außer Tumoren, die ihrerseits unter hormonellem Einfluss stehen: Mamma-, Ovarial-, Uterus-CA bei der Frau, Prostata-CA beim Mann);
Morbus Crohn,
Allergien, Asthma etc.;
CMS/Chronisches Müdigkeitssyndrom, Multiple Sklerose, Lupus erythematodes, RA/Rheumatoide Arthritis; AIDS, primäre/sekundäre Immundefekte.

Literatur
  1. Barrett-Connor E, Khaw KT, Yen SSC: A prospective study of dehydroepiandrosterone sulfate, mortality and cardiovascular disease. New Engl J Med 1986;315:1519-1524.
  2. Ebeling P, Koivisto VA: Physiological importance of dehydroepiandrosterone. Lancet 1994;343:1479-1481.
  3. Guazzo EP, Kirkpatrick PJ, Goodyer IM, Shiers HM, Herbert J: Cortisol, Dehydroepiandrosterone (DHEA) and DHEA sulfate in the cerebrospinal fluid of man: relation to blood levels and the effect of age. J Clin Endocrinol Metab 1996;81:3951-3960.
  4. Lamberts SWJ, van den Beld AW, van der Lely AJ: The endocrinology of aging. Science 1997;419-424.
  5. Longcope C: The metabolism of dehydroepiandrosterone sulfate. Sem Reprod Medicine 1995;13:270-275.
  6. Van Vollenhoven RF, Engleman EG, McGuire JL: An open study of dehydroepiandrosterone in systemic lupus erythematodes. Arthritis Rheum 1994;37:1305-1310.
  7. Morales AJ, Nolan JJ, Nelson JC, Yen SS: Effects of replacement dose of dehydroepiandrosterone in men and women of advancing age. J Clin Endocrinol Metab 1994;78:1360-1367.
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