Oxidativer Stress
und orthomolekulare Diagnostik und Therapie
von Dr. Norbert E. Adelwöhrer, Weiz*

Oxidativer Stress
Die biologische Oxidation ist die energetische Grundlage aller Stoffwechselvorgänge im menschlichen Organismus. Die Ausbildung komplexer biologischer Systeme wäre ohne sie nicht denkbar.
Voraussetzung für die Oxidation in lebenden Systemen ist die Überführung molekularen Sauerstoffs in "Aktivierte Sauerstoffstufen" (ASS), wobei neben einigen physiologischen Reaktionen aber vorwiegend pathologische Mechanismen mit destruktiver Wirkung ausgelöst werden.

Entstehung von Leben hängt von Elektronennehmern und -gebern ab. Das wässrige Milieu des menschlichen Organismus, der niedrige Körperinnendruck und die niedrige Körpertemperatur schaffen ein so ungünstiges thermodynamisches Umfeld, dass alle chemischen Reaktionen beschleunigt werden müssen.

Daraus ergeben sich die folgenden Probleme:
  • Radikalreaktionen können überall und zu jeder Zeit auftreten
  • Radikalfänger (Scavenger) müssen überall zur Verfügung stehen
  • Scavenger müssen im unmittelbaren Raumbereich (0,5-2,0 nm) innerhalb von
    >> Nanosekunden reagieren können
  • Werden Radikale nicht abgefangen, so führt dies zur Gefährdung aller biologischen
    >> Systeme
  • Zwischen den RedOx-Systemen des Körpers und der zellulären Abwehr besteht ein
    >> enger Zusammenhang, da bei der Phagozytose von Fremdmaterial immer
    >> Sauerstoffradikale entstehen

Alle Gewebs- oder Zellschädigungen führen zu einem oxidativen Angriff auf den Organismus ("oxidativer Stress"). Bevorzugte Angriffspunkte sind Stellen, die komplex gebundenes Eisen aufweisen (Transferrin, Ferritin, Hämoglobin, Myoglobin, Eisenkomplexe in den Nervenzellen und im Hirnstamm, Eisenspeicher in Leber und Milz).

Die große Gefahr von oxidativem Stress liegt darin, dass seine negativen Auswirkungen nicht notwendigerweise sofort wirksam werden, sondern sich über Jahrzehnte hinziehen können. Die Kompensationsfähigkeit des Körpers gegenüber oxidativem Stress ist individuell verschieden. Sie ist jedoch keineswegs ein positives Zeichen, sondern vielmehr Ausdruck einer Maladaptation, die lange Zeit die Entwicklung chronischer Erkrankungen maskieren kann.

Ohne oxidativen Stress erleidet der Körper pro Tag bereits 10000 DNA-Schäden pro Genom. Im Laufe von 70 Lebensjahren werden im Genom damit 300 Millionen Nukleotide von Zersetzungsreaktionen erfasst.

Natürliche antioxidative Systeme
Antioxidantien sind die Gegenspieler von freien Radikalen und Peroxiden. Bekannte Antioxidantien sind die Vitamine C und E, ß-Carotin, Harnsäure und Serumalbumin. Ihre wichtigste Eigenschaft ist die Unterbrechung der Kettenreaktion als Folge schädlicher Wirkung von freien Radikalen. Bei gesunden Menschen existiert ein weitgehend stabiles Gleichgewicht zwischen freien Radikalen und Antioxidantien. Bei verschiedenen Krankheitszuständen verschiebt sich dieses Gleichgewicht zu Ungunsten der Antioxidantien.

Schutz vor der unerwünschten Oxidation bieten:
Antioxidative Enzyme, und zwar insbesondere
  • Superoxiddismutasen
  • Katalasen
  • Selenabhängige und selenunabhängige Peroxidasen
Nichtenzymatische Schutzfaktoren, insbesondere:
  • Vitamin C
  • Vitamin E
  • Vitamin A
  • ß-Carotin
  • Coenzym Q10
  • u.a.
Spurenelemente
(Essentiell bekannt: Zn, Fe, Mn, Co, V, Cr, Ca, Se, Mo, Cu, Sn, As, Si, F, J)

Spurenelemente spielen eine wichtige Rolle als Aktivatoren von Enzymen (Dehydrogenasen, Phosphatasen, Dismutasen, Phosphortransferasen), als Radikalfänger, als Katalysatoren von RedOx-Reaktionen sowie als feste Bestandteile von Metalloenzymen. Deshalb müssen die jeweiligen Spurenelemente bei Mangel substituiert werden.

Die Grundsubstanz als Radikalfänger
Bei der Inaktivierung der Oxidationsprodukte spielt auch die Grundsubstanz mit ihren Wasser-Zucker-Polymeren eine entscheidende Rolle. Ihre Hauptfunktion besteht dabei in der Kühlung des biologischen Reaktors und in der Bereitstellung der benötigten Energie.
Während die Zellen vor radikalischen Angriffen weitgehend geschützt sind, trifft dies für die Zellmembranen und die Grundsubstanz nur bedingt zu. Ein selektiver Angriffspunkt für die freien Radikale scheint das Prolin zu sein, wobei es zur Abspaltung von Proteinfragmenten kommt, die als Autoantigene von Bedeutung sind.

Nur eine voll funktionsfähige Grundsubstanz ist in der Lage, über sulfatierte Proteoglykane und Glukosaminglykane geeignete Radikalfänger zur Verfügung zu stellen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Hyaluronsäure zu. Funktionsverluste der Grundsubstanz (z.B. durch Umweltgifte und Schwermetalle) führen zu oxidativem Stress, Multimorbidität, chronischen Krankheiten und möglicherweise auch zur Bildung von Tumoren.

Reaktionstypen antioxidativer Wirkungen
  1. Oxidation oder Reduktion von Radikalen durch Elektronentransfer zu stabilen Endprodukten
  2. Reaktion von Radikalen miteinander unter Bildung stabiler Endprodukte (Terminierung)
  3. Abfangen von Radikalen unter Bildung neuer Radikale
  4. Nichtradikalische (enzymatische) Reduktion von Hydroperoxiden direkt zu Alkoholen
  5. Komplexierung bzw. Chelatierung von Metallionen mit dem Ziel, die radikalische Zersetzung von Hydroperoxiden zu verhindern
  6. Induktion und Steigerung der Aktivität detoxifizierender Enzyme
Diagnostik
Die drei im Folgenden dargestellten Methoden basieren auf In-vitro-Diagnostika. Zu ihrer Durchführung sind geringe Mengen an Blutserum oder -plasma erforderlich.

TAS
Mit dieser Methode kann der "Totale Antioxidantien-Status" bestimmt werden. Die Bestimmung erfolgt über die Hemmung einer standardisierten Peroxid-Peroxidase-Reaktion. Die Eigenschaft von Antioxidantien, radikalvermittelte Kettenreaktionen zu unterbrechen, führt zu einer Verringerung der Farbreaktion im chromogenen Substrat. Je weniger Farbe sich bei der Reaktion bildet, desto stärker ist die Hemmung der Reaktionskette und damit die Konzentration von Antioxidantien.

POX-Act
Diese Kurzbezeichnung steht für "Peroxid-Activity". Peroxide spielen sowohl bei der Abwehr von Mikroorganismen durch Immunzellen als auch bei der oxidativen Veränderung von fetttransportierenden Eiweißen (Lipoproteinen) und Zellmembranen eine entscheidende Rolle.
Die Bestimmung erfolgt mittels einer klinisch-chemisch-enzymatischen Reaktion. Die Probe wird mit Peroxidase und einem chromogenen Substrat inkubiert.

Die Peroxidase spaltet Sauerstoffradikale vom vorhandenen Peroxid ab. Diese reagieren mit dem Substrat, das sich infolge dieser Reaktion von farblos nach blau verfärbt. Die Farbintensität ist direkt proportional zur Konzentration der Peroxide in den Proben.

oLab
Die Abkürzung steht für "Antikörper gegen oxidativ modifiziertes LDL". Dabei handelt es sich um einen körpereigenen Schutzmechanismus gegen Zell- und Membranschäden, die durch die Wirkung freier Radikale hervorgerufen werden. Ihre Bestimmung erfolgt mittels ELISA. Die vorverdünnten Proben werden mit fettphasenverkoppeltem oxidiertem LDL inkubiert.

Dabei binden in der Probe vorhandene Antikörper an die feste Phase und können nach einem Waschschritt mittels peroxidasemarkierter Sekundärantikörper und des chromogenen Substrates TMB identifiziert werden.

Hinweis
Daneben besteht natürlich die Möglichkeit einer Bestimmung der einzelnen Spurenelemente und Vitamine. Eine entsprechende Einzelsupplementierung setzt jedoch eine genaue Kenntnis der Interaktionen zwischen den einzelnen Mikronährstoffen voraus. (Detaillierte Auskünfte auf Anfrage.)

Therapie
Allgemein gilt: Jeder Therapie muss eine klare Diagnostik vorausgehen - auch aus forensischen Gründen.

Wir haben die Prophylaxe von einer effektiven Therapie zu unterscheiden. Für die Prophylaxe ist eine ausgewogene Ernährung mit Reduktion von tierischen Fetten und Eiweiß (Säuerung des Gewebes und damit Veränderung des pK-Wertes und des pH-Optimums für enzymatische Reaktionen) unter Einbeziehung von reichlich Obst und Gemüse und die eventuelle Gabe eines Multimineralstoff/Vitaminpräparates ausreichend.

Bei nachgewiesenem Defizit im Peroxidstoffwechsel hat sich die parenterale Verabreichung von 200µg Selen und Glutathion (einmal wöchentlich über 6 Wochen) in Kombination mit oralem Selen, Vitamin-C-Ester und Zink (30 mg abends für zumindest 6 Monate) als zielführend erwiesen. Hilfreich ist eine ergänzende Substitution von Vitamin E (400 IE) und bei Bedarf Mn, Cu, Fe (je nach Status).

Literatur
  1. Ohlenschläger, G.: Freie Radikale, oxidativer Streß und Antioxidantien.
  2. Ralf Reglin Verlag, 1995.
  3. Schmid F. et al. : Antihomotoxische Medizin. Bd. 1, Aurelia Verlag, 1996.
  4. Pischinger, A.: Das System der Grundregulation. Haug, 1998.
  5. Burgerstein, L.: Handbuch Nährstoffe. Haug, 2000.
  6. Löffler/Petrides: Biochemie und Pathobiochemie. Springer, 1998.
  7. Zubay, G. L.: Biochemie. McGraw-Hill, 2000.
  8. Heine, H.: Lehrbuch der biologischen Medizin. Hippokrates, 1997.
  9. Hudson, T.: Women's Encyclopedia of Natural Medicine. Keats, 1999.
  10. Werbach, M.: Nutriologische Medizin. Hädecke, 2000.
  11. Biesalski, H. K.: Ernährungsmedizin. GTV, 1995.
(weitere Literatur beim Autor auf Anfrage)
   
Dr. Norbert E. Adelwöhrer ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Weiz (Österreich) und Leiter der Arbeitsgruppe Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Institut für Ernährung und Stoffwechselerkrankungen, Dr. M. Lindschinger GesmbH, Graz-Laßnitzhöhe. Er ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Ärztegesellschaft für Homotoxikologie und antihomotoxische Therapie.

* Anschrift des Autors: Dr. Norbert E. Adelwöhrer, Institut f. Ernährung und Stoffwechselerkrankungen, Dr. M .Lindschinger GmbH, Arbeitsgruppe Frauenheilkunde und Geburtshilfe, A 8301 Laßnitzhöhe, Hauptstraße 140, Tel. (+43) (0)3133-6100-40 oder 47, Mobil 0664-4453001, e-mail: office@adelwoehrer.at
   
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